Im Vorraum zum Jenseits liegt Teppich

Ausgabe: 
03-04/2023

Sie haben es sicher gleich bemerkt: Der rote Teppich bei den diesjährigen Oscar-Verleihungen war nicht rot, sondern „champagnerfarben“. Man könnte auch sagen: Er war in einem frechen Beige gehalten, einem flotten Hellbraun, er trug ein mutiges Ocker, er war kess schlammfarben. Den Bruch mit der Tradition begründen die Verantwortlichen überraschend schlicht: Man wollte halt mal etwas anderes. In Zeiten der sozialen Medien bleibt so etwas natürlich nicht unkommentiert. Die Reaktionen waren wie zu erwarten überwiegend spöttisch. Manche fühlten sich an Ikea erinnert und fragten sich, wo die Köttbullars bleiben. Eine andere Kommentatorin meinte, so würde wohl das Wartezimmer zum Nirvana, der Vorraum zum Jenseits aussehen. 

Der rote Teppich war bis dato rot gewesen, einfach weil das schon immer so war, zumindest seit 1961. Nach so langer Zeit ist eine Änderung tatsächlich mal angezeigt. Allerdings: Champagner? Die Damen in nudefarbenen Kleidern konnten da nur wenig glänzen. Warum nicht grün, in Zeiten, in denen alles von Nachhaltigkeit spricht? Oder in Regenbogenfarben für mehr Diversität? Oder blau und gelb aus Solidarität mit der Ukraine? Farben sind eben nicht egal, gerade starke Farben wirken auf den Betrachter. In Ausstellungen werden Gemälde heute oft vor Wände in auffälligen Farben gehängt, um die Blicke auf einzelne Werke zu lenken. Der rote Teppich bei den Oscars hatte den gleichen Effekt, er sagte: Schaut her, hier spielt die Musik. Der champagnerfarbene Teppich wirkte eher wie: Eigentlich ist‘s auch egal, aber wenn du schonmal da bist, kommen hier die Stars. In dieser Ausgabe sprechen wir zwar nicht direkt über rote Teppiche, aber über textile Bodenbeläge (ab S.40 der Print- und Online-Ausgabe), über die Bau, auf der es auch textile Beläge zu sehen geben wird (ab S.54) und über die Heimtextil, die das Thema textile Beläge 2024 in den Vordergrund stellt (S.20-23). Warum ist der Umschlag dieser Ausgabe eigentlich nicht bunt? Sagen wir‘s so: In diesem Heft haben wir so viele Knaller, da haben wir den Titel einfach mal schwarz-weiß gemacht. 

Alexander Radziwill